Natürlich hat meine Liebe zum
Eisen nicht mit einer Eisenbahnfahrt begonnen. Sie war ganz plötzlich da. Oder vielleicht
ist sie auch ganz heimlich gewachsen, bis Fortbewegungsmittel, Bauwerke, Werkzeug, die
mein Leben prägten, das Eisen mir immer auffälliger machten: eine erste
Identifikationsmöglichkeit mit der Zeit, in der ich gross geworden bin, die Eisenzeit.
Da sind die grossen Entwürfe von kühngeschwungenen Brücken über Flüsse oder
Meerarme. Da ist die zergliederte Postkartensilhouette des Eiffelturms vor einem lodernden
Abendhimmel. Und da sind die Schienenstränge, die sich in zerklüftete
Westernfilmlandschaften hineinbohren. Aber da ist eben auch die Erinnerung an früher
wirklich erlebte Eisenbahnfahrten, Schulreisen, auf der hintersten Plattform der alten
Drittklasswagen, wo die Schienen unter einem wegliefen, ein unendlich rostiges Band, das
sich in der Ferne verlor. Scheinbar versunkene Bilder werden wieder lebendig, das träge
Stakkato der Eisenbahnräder, die an mir vorbei über die Nahtstellen fuhren, der strenge
Geruch von Metall und Urin am Bahndamm und dann eben die Schienen, oben von den Rädern
blankgeschliffen, wie die Klinge einer gefährlichen Waffe, darunter aber, zwischen den
Schwellen die Schottersteine, von einer dünnen Schicht von abgesplitterten Eisenpartikeln
überzogen, ein rostfarbenes Bett. Der Bahndamm als verlassenes Schlachtfeld, ein Ort, wo
Eisen funkensprühend mit gewaltiger Wucht auf Eisen geprallt war, und wo jetzt die Reste
des scheinbar unzerstörbaren Metalls langsam zerbröseln. Dass Rost Zerfall bedeutet, Signal für die Vergänglichkeit des Eisens ist, das ich anfangs für ewig und unzerstörbar hielt, wurde mir erst später klar: Im Chemieunterricht bekam ich dann die wissenschaftliche Formel für einen Zerfallsprozess geliefert, den ich damals nicht wahrhaben wollte. Und während meiner Lehre als Maschinenschlosser habe ich damit leben gelernt. Doch wenn man jung ist, muss einen die Gier nach Unsterblichkeit schütteln. Dass ich dann Eisenplastiker wurde, hat mit diesem unbedingten Anspruch zu tun, mit dem Willen, dieses scheinbar hermetische Material zu beherrschen, es zu erschmelzen, zu formen nach meinen Vorstellungen. Da besetzten mich die mythischen Urbilder, ritt mich im übertragenen Sinn der Geist des gewaltigen Hephaistos, trieb mich immer weiter in diesem grössenwahnsinnigen Bestreben, mit Eisen Sinn-Bilder der Welt zu schaffen. Dass ich es wirklich schaffte, wenn auch in einem viel umfassenderen Sinne, wurde mir aber erst später klar: Vielleicht stellt die Plastik, die ich endlich nach vielen Versuchen freigab, in der Konfrontation mit dem Betrachter, ein Stück dieser Welt dar, in der ich mich vorübergehend bewege, aber nur langsam begriff ich, dass es nicht die Form an sich war, die meine Welt spiegelte, sondern, dass es das Material Eisen ist, das meine scheinbar endgültige Form in Frage stellt: Weil es mit und in der Zeit zerfällt. Wenn man einen solchen Gedanken konsequent zu Ende denkt, steuert man langsam, aber unbeirrbar eine künstlerische Konzeption an, die die vom Plastiker selbst geschaffene Form als Sinnbild des gelungenen Schöpfungsaktes, der ja immer wieder in anderen Fassungen wiederholbar ist, total in Frage stellt. Das Eisen als vergängliches Material suggeriert die Preisgabe eines Schaffens in der Zeit, die einem als Mensch zur Verfügung steht. Die Vorstellung, dass wir in unserem Atomkraftwerk in Gösgen Abfälle produzieren, die zehnmal so lang toxisch bleiben werden als die ägyptischen Pyramiden stehen, ruft bei mir eine Irritation hervor, die alles relativiert, was ich im Augenblick hervorbringe. Der Fortschrittswille, der die Bedingtheit und die Beschränktheit des Lebens auf diesem Planeten verbessern will, wird ja permanent unterlaufen von den Nebenwirkungen, die dieser Fortschritt auslöst. 1982 habe ich deshalb die ersten sogenannten Zeitplastiken geschaffen, Zeit als Mass in meine Arbeit einbezogen, indem ich sie wie Höhe, Breite und Länge als eigenständige Dimension behandelte. Ich wollte in dieser Versuchsreihe Spuren in die Vergangenheit suchen und neue in die Zukunft legen. 1991 entstand auf einem Steingletscher oberhalb des Albulapasses eine Wasserscheidenplastik, dem Zerfall preisgegeben, dem Wanderer, Berggänger, der sie nicht bewusst sucht, verborgen. 1992 habe ich in den Krater des hawaiianischen Vulkans Kilauea vier Graphiteier plaziert. Sie sind einfach da, ohne dass sie heute jemand zu Gesicht bekommt. Es sind die Eier des schwarzen Phönix, in die Asche gelegt, wo der Vulkan sie ausbrüten wird. Wenn eines Tages - in unabsehbaren Zeiten - dieser Vulkan erkaltet ist, wenn er langsam erodiert, in 1,8 Millionen Jahren, um einen halbwegs verbindlichen Zeitbegriff anzugeben, werden aus diesen Graphiteiern Diamanten entstanden sein: Ich habe stellvertretend für meine Generation, für die Menschheit schlechthin, eine Spur in die Zukunft hineingelegt, ein Zeugnis meiner Zeit. Vielleicht ist dann da jemand, der diese Spur zurückverfolgt. Natürlich bin ich noch mit Leib und Seele Eisenplastiker, natürlich reizt mich noch immer die Arbeit im Team, denn ohne die Hilfe der Fachleute, die sich in den Dienst meines Projektes stellen, die sich auch meinem Formwillen unterwerfen, kann ich nichts realisieren. Und natürlich brauche ich ein direktes Echo aus meiner Zeit auf meine Plastiken, brauche ich den Betrachter, auch den Kritiker, den Kenner, selbst wenn ich einen Plastik-Standort, der eine halbe Stunde vom nächsten Parkplatz entfernt liegt, dem Museum eigentlich vorziehe. Ich entziehe mich dem trägen Kunstbetrachter, und ich entziehe mich auch der gängigen Kunstkritik, die keine Kriterien hat, um die Arbeit zu beurteilen, die mir immer wichtiger wird: Die Projekte über die Zeit hinaus, in der ich lebe, in der vielleicht die Menschheit noch vorhanden ist. < Im kosmischen Masstab gesehen hat nur das Phantastische eine Chance, wahr zu sein> sagt Pierre Teilhard de Chardin. Dies ist mein Lieblingssatz und zugleich mein künstlerisches Programm. Die Schizophrenie eines solchen Lebens zwischen dem Anspruch auf Veränderung und Selbstbeschränkung spiegelt letztlich den Zustand unserer Zivilisation, den einzufangen ich einenteils mit den Mitteln, die sie mir zur Verfügung stellt, mich bemühe, die zu überwinden ich aber gleichzeitig anvisiere in diesen Projekten, die über unsere Zeit hinauszielen: Dokumente einer Zivilisation, die zu lernen versucht, mit dem Wahnsinn zu leben. Aufgeschrieben von Peter Zeindler
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Stahlplastik in Zürich. 1988 -1990 |